Wie schon Herbert Grönemeyer im Jahre 1984, beschäftigt auch mich, über drei Jahrzehnte später, folgende Frage: Wann ist ein Mann ein Mann? Denn ich persönlich habe das Gefühl, dass trotz des gesellschaftlichen Wandels das traditionelle Rollenbild des Mannes noch immer tief in uns verankert ist. Überspitzt gesagt müssen Männer Geld verdienen, teure Autos fahren, durchtrainiert sein und dürfen auf gar keinen Fall Gefühle zeigen. Und sollten doch mal Tränen kullern, so wird dieses Verhalten mit “gefühlsduselig” oder gar “schwul” betitelt.
By the way: Ich habe euch auf Instagram nach den euch bekannten männlichen stereotypen gefragt. Die häufigsten Antworten waren: Verantwortung für das Einkommen der Familie, handwerkliche Begabung, starker und trainierter Körper, keine haushaltlichen Arbeiten.
Aber was machen diese gesellschaftlichen Anforderungen mit einem Mann? Diese und noch weitere Fragen zum Thema “Rollenbild Mann” beantwortet uns heute der liebe Colin.
Hey Colin! Stell dich doch den Leserinnen und Lesern bitte kurz vor.
Gerne! Ich bin 33 Jahre alt, wohne in Walding und arbeite hauptberuflich als Deutschlehrer für Erwachsene an der VHS Linz. Zudem arbeite ich auch an einem Nachhilfeinstitut und gebe Schülern Nachhilfeunterricht in Deutsch, Englisch und Französisch.
Wie denkst du, ist es zu den Anforderungen gekommen, die wir an die männliche Persönlichkeit (bewusst oder unbewusst) stellen?
Das ist eine gute und interessante Frage, die auch in der Verhaltensforschung sehr intensiv diskutiert wird. Zweifellos kann man sagen, dass dabei sowohl biologische als auch soziale bzw. evolutionäre Faktoren eine Rolle spielen. Rollenbilder bzw. an Geschlechter gestellte Anforderungen wurden über Jahrhunderte unhinterfragt an die nächste Generation weitervermittelt. Ich glaube, dass wir hier in Österreich zum Teil auch noch von der militaristisch geprägten Monarchiezeit bzw. zum Teil auch vom Nationalsozialismus geprägt sind, in der bekanntlich das konservative Bild vom starken Mann sehr vorherrschend war.
Hat sich deiner Meinung nach das Rollenbild des Mannes im Laufe der Jahre verändert? Wenn ja, in welche Richtung?
Ich denke schon, dass sich in Europa in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten das Rollenbild des Mannes langsam aber doch etwas geändert hat. Tendenziell lässt sich etwa beobachten, dass Männer in Familien eine aktivere Rolle in der Kindererziehung einnehmen wollen. Junge Männer setzten sich auch zunehmend mit gesundheitlichen Themen auseinander.
Natürlich gibt es da jedoch noch sehr große Unterschiede. Die soziale Herkunft bzw. der Bildungsgrad spielt hier oft eine Rolle, aber auch geografisch gesehen gibt es große Differenzen: In den skandinavischen Ländern ist man aus meiner Sicht diesbezüglich schon sehr weit vorangekommen, in Süd- bzw. Osteuropa sind die traditionellen Rollenbilder jedoch noch sehr stark präsent. Hier gibt es zum Teil auch Strömungen bzw. politische Parteien, die sehr vehement an den alten Rollenbildern festhalten wollen.
Hat dich die gesellschaftliche Erwartungshaltung in deiner persönlichen Entwicklung eingeschränkt oder beeinflusst? Wenn ja, wie?
Ich denke schon. In meiner Kindheit und Jugend wurde mir von gleichaltrigen Burschen aber auch von Männern doch recht stark vermittelt keine Schwächen zu zeigen. Dieser ständige Wettkampf unter Gleichaltrigen, wer der Bessere und Stärkere ist, hat mir damals psychisch sicherlich geschadet und meinem Selbstvertrauen schon sehr zugesetzt.
Depressionen, Panikattacken, Schlafprobleme – für viele Männer ein absolutes Tabuthema. Warum?
Das hängt sicherlich sehr stark damit zusammen, dass derartige Probleme oft als Schwäche angesehen werden; viele Männer haben es noch sehr verinnerlicht, stark zu bleiben und gegenüber anderen zu zeigen, dass man den beruflichen Herausforderungen gewachsen ist.
Diesbezüglich möchte ich aber auch anmerken, dass es gerade in letzter Zeit in den Medien aber auch Männer gegeben hat, die öffentlich über ihre Depressionen gesprochen haben. In Erinnerung geblieben ist mir beispielsweise ein Interview des italienischen Fußballspielers Gianluigi Buffon, der offen darüber sprach, im Laufe seiner Karriere an Depressionen und Panikattacken gelitten zu haben.
Ich finde das sehr positiv und denke, dass gerade Persönlichkeiten aus dem Sport da sehr viel bewirken und dazu beitragen können, dass psychische Probleme weniger tabuisiert werden.
Siehst du persönlich eine Gefahr an der Tatsache, dass sich viele Männer verschließen und persönliche Probleme runterschlucken?
Auf alle Fälle hat das sehr negative Auswirkungen. Viele „ertränken“ ihre negativen Gedanken in Alkohol. Depressionen äußern sich auch oft in Form von Aggressionen.
Männern fehlt es leider oft an Vertrauenspersonen, an die sie sich wenden können, wenn sie etwa mit Beziehungskrisen konfrontiert sind.
Wo würdest du persönlich ansetzen, um die altmodischen Stereotypen zu verbannen – oder zumindest zu lockern?
Ich denke, dass es sicherlich sehr hilfreich ist, wenn in Volksschulen aber auch in Kindergärten vermehrt auch Pädagogen tätig sind, die den Kindern vermitteln, dass Männer beispielsweise auch fürsorglich sein und Mitgefühl zeigen können.
Im Sekundarbereich könnte man auch Workshops mit den Schülern machen, in der Geschlechterstereotype einmal kritisch hinterfragt werden.
Grundsätzlich habe ich aber den Eindruck, dass die geschlechtersensible Pädagogik in der Lehramtsausbildung im Vergleich zu früher schon eine bedeutendere Rolle einnimmt.
Wenn du den Leserinnen und vor allem Lesern dieses Artikels etwas auf ihren weiteren Lebensweg mitgeben könntest, was wäre es?
Ich denke es tut uns allen gut, wenn wir uns selbst und auch andere in erster Linie als Menschen und Individuen wahrnehmen und auch Kindern die Möglichkeit geben sich in ihrer Persönlichkeit frei zu entfalten, frei von Geschlechternormen. Auch glaube ich, dass es vor allem für die eigene Persönlichkeitsentwicklung sehr hilfreich sein kann, sich mit diesen Normen kritisch auseinanderzusetzen und darüber zu reflektieren, inwiefern sie einen Einfluss auf das eigene Leben und das meiner Mitmenschen haben.
Hast du Online-Portale, Zeitschriften oder sonstige Anlaufstellen, die in diesem Zusammenhang interessant sein könnten?
Ja, sehr empfehlen kann ich die Artikel des freien Journalisten Nils Pickert. Er schreibt unter anderem auf pinkstinks.de, eine Webseite die sich generell sehr kritisch mit traditionellen Rollenbildern auseinandersetzt. Viele lesenswerte Artikel zu diesem Thema findet man auch auf: www.derstandard.at/diestandard.
Auch das Buch: „Männerseelen: Ein psychologischer Reiseführer“ des Psychotherapeuten Björn Süfke kann ich sehr empfehlen. Es zeigt sehr anschaulich und mit Hilfe vieler Beispiele, wie Männer einen Zugang zu ihren Gefühlen und ihrem Innenleben finden können.
Vielen Dank für deine inspirierenden Antworten, Colin! Ich bin davon überzeugt, dass deine Worte nicht nur für mich, sondern auch für viele andere Menschen da draußen sehr wertvoll sind.
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